Werbung weil Markennennung
Die Markenrechte an Meyer Optik Görlitz hat inzwischen die OPC Optics GmbH erworben und seitdem ist viel passiert: Eine ganze Reihe der traditionellen Objektive wurde inzwischen grundlegend überarbeitet und wieder aufgelegt. Ich habe das Primoplan 75 f1.9 II getestet und berichte über meine Erfahrungen mit diesem fabrikneuen Klassiker.
„Die Legende lebt weiter“, so oder ähnlich könnte man den Werdegang der Marke Meyer Optik Görlitz beschreiben. Im Jahr 2019 stand allerdings noch ein großes Fragezeichen hinter der Traditionsmarke, die für das „Seifenblasenbokeh“ steht. Damals wurden gerade die Markenrechte von OPC Optics (Optical Precision Components Europe GmbH) aus Bad Kreuznach aufgekauft und ich war gespannt, wie sich das Ganze entwickeln würde.
In den letzten drei Jahren hat der Spezialhersteller von hochpräzisen, optischen Linsen das Portfolio der bekanntesten Meyer Optik Objektive überarbeitet und optimiert. Zum 125-jährigem Bestehen der Marke Meyer Optik Görlitz wurde im August 2021 die Meyer Optik Görlitz GmbH wieder als eigenständige Firma ins Leben gerufen und damit der Fortbestand der Traditionsmarke gefestigt. Laut eigenen Aussagen sollen die Objektive in Bezug auf Mechanik, Kontrastverhalten und Auflösung verbessert worden sein und die Neuproduktion mehrerer Objektive wurde bereits gestartet. Das Primoplan 75 f1.9 II hat mich dabei besonders interessiert: Es weist nicht nur eine sehr hohe Lichtstärke auf, sondern hat auch ein vielversprechendes Bokeh und kompakte Abmessungen.
Solide Konstruktion
Das Primoplan 75 f1.9 II wird in einem edlen Schmuckkästchen mit schwarzer Stoffauskleidung geliefert. Auch wenn dieses Kästchen im Fotoalltag bei mir keine weitere Verwendung findet, so gestaltet die erlesene Aufmachung das Unboxing doch zu einem kleinen Highlight. Das Objektiv selbst ist sehr kompakt: Mit nur (je nach Anschluss) 300 bis 360 Gramm und nur 55 - 85 mm Länge gehört es mit zu meinen leichtesten und handlichsten Objektiven.
Der Objektivtubus ist aus einem schwarz eloxiertem Aluminium gefertigt. Der erste, äußere Eindruck einer sehr wertigen Konstruktion hat mich auch nach über einem dreiviertel Jahr Praxiseinsatz nicht getäuscht. Das manuell zu fokussierende Objektiv verfügt über einen griffigen Fokussierring, der sich angenehm sanft mit rund 110° Drehwinkel zwischen unendlich und der Naheinstellgrenze von 75 cm fokussieren lässt. Der Objektivtubus verlängert sich dabei um etwa 0,7 cm. Mit einem zweiten Einstellring kann die Blende stufenlos zwischen f/1,9 und f/16 variiert werden. Ich habe bei mir standardmäßig die mitgelieferte, stabile Gegenlichtblende aus Metall auf dem Objektiv aufgeschraubt. Damit verbessert sich zum einen die Kontraststärke bei Gegenlichtsituationen und zugleich ist es auch ein gewisser Schutz der Frontlinse. Mit aufgesetzter Gegenlichtblende verlängert sich das Objektiv um etwa 1,5 cm, ist aber immer noch so handlich, dass es sich ohne Probleme locker in meinem Fotorucksack verstauen lässt.
Optische Eigenschaften
Mit den optischen Eigenschaften kommen wir zum wichtigsten Grund, sich ein Objektiv dieser Marke anzuschaffen. Schließlich greift man zu Meyer Optik Görlitz, wenn man Fotos mit einem speziellen Bildlook machen möchte. Dazu gehört nicht nur die typische Abbildung heller Lichtpunkte als Seifenblasen, sondern auch die wunderbar weichen Farbverläufe, die schon fast märchenhaft anmuten. Bei den optischen Eigenschaften spielt das Primoplan 75 f1.9 II seine Stärken voll aus. Hervorzuheben ist meines Erachtens die außergewöhnlich gut gelungene Kombination aus erstklassigem, charakteristischen Bokeh, guter Bildschärfe und deutlich verbessertem Gegenlichtverhalten. Bei meinen Objektiven der Vorgängerversionen des 35+ und des 100mm Trioplans waren Gegenlichtsituationen immer kritisch, die volle Aufmerksamkeit erforderten, um Kontrast und Farbintensität in einem akzeptablen Bereich zu halten. Das neue Primoplan ist in dieser Hinsicht deutlich besser, ich war erstaunt, wie gut die Abbildungen auch bei schwierigen Gegenlichtsituationen sind. Der Hersteller hat Lichtreflexionen bei diesem Objektiv recht gut in den Griff bekommen und auch chromatische Aberrationen fehlen fast vollständig.
Ebenso ist die Bildschärfe schon bei Offenblende auf einem sehr ansprechenden Niveau. Durch Abblenden lässt sich die Schärfe auf ein sehr hohes Niveau steigern und auch die offenblendig vorhandene Vignettierung reduziert sich.
Charakteristisches Bokeh
Ein wesentliches, wenn nicht sogar das herausragende Charakteristikum des Primoplan 75 II ist für mich allerdings das großartige Bokeh mit seinen vielseitigen Einsatzmöglichkeiten. Bei starken Lichtkontrasten lässt sich mit dem Primoplan das typische Seifenblasenbokeh erzeugen, wobei ein scharf begrenzter, heller Lichtkreis den eigentlichen Unschärfekreis umgibt. Diesen Effekt setze ich bei bestimmten Motiven immer wieder sehr gerne ein. Sicher lässt sich darüber diskutieren, ab wann das eigentliche Motiv durch das Bokeh in den Hintergrund gedrängt wird, aber beim Primoplan 75 f1.9 II ist der Seifenblaseneffekt eher dezent, so dass ein Bildervortrag mit diesen Fotos eine willkommene Abwechslung bietet. Reduziert man das Primoplan aber auf die “Kringel“, wird man ihm nicht gerecht, denn gerade auch bei Lichtverhältnissen, die eher gedeckt sind, offenbart das Primoplan seine zweite Seele: Den cremigen und weichen Farbverlauf empfinde ich als besonders attraktiv, der mich jedesmal wieder in seinen Bann zieht, sobald ich das Primoplan auf die Kamera setze. Das märchenhafte Aussehen des Hintergrundes gepaart mit der ansprechenden Bildschärfe des Hauptmotivs machen die Fotos zu etwas Besonderem. Da ich meine Fotos nicht unbedingt in die Kategorie dokumentarisch einordnen will sondern eher als künstlerische Interpretation sehe, ist für mich das 75 II eine ausgezeichnete Möglichkeit, meine Bildideen durch eine sehr attraktive Darstellungsweise in die Tat umzusetzen.
Das Objektiv zeichnet bei f/1.9 vollständig runde Unschärfekreise. Schließt man die Blende weiter, lässt sich zwischen f/2.8 und f/4 beginnend eine Eckenbildung beobachten, die aufgrund der 15 Blendenlamellen ein besonderes Aussehen hat und als Stilmittel verwendet werden kann. Möchte ich bei bestimmten Motiven runde Unschärfekreise und brauche dennoch einen größeren Schärfebereich, so bin ich dazu übergegangen, mehrere Bilder zu stacken: Das Ergebnis ist dann eine für das bildwichtige Motiv durchgängig perfekte Schärfe kombiniert mit dem traumhaften Bokeh des Primoplans.
Manuelle Einstellung
Am Objektiv findet sich kameraseitig der Ring zur Entfernungseinstellung, zur Frontlinse hin ist der Einstellring für die Blende angebracht. Beide Einstellungen erfolgen rein manuell und lassen sich erfreulich angenehm betätigen. Eine Rasterung bei der Blende ist nicht spürbar, so dass sich das Objektiv durch die stufenlose Einstellmöglichkeit auch für filmische Zwecke einsetzen lässt. Eine Blendeneinstellung wird in den Exifs nicht angezeigt.
Die Naheinstellgrenze des Primoplan 75 II liegt bei 75 cm. Da ich dieses Objektiv bevorzugt im Makrobereich einsetze, arbeite ich sehr häufig mit Zwischenringen. Das ist zwar mit etwas Aufwand verbunden, aber die Gestaltungsmöglichkeiten mit reduzierter Naheinstellgrenze sind es auf jeden Fall wert. Je nach gewünschten Abbildungsmaßstab empfehlen sich verschiedene Zwischenringe: Ich habe sehr oft mit dem 13mm und dem 21 mm Zwischenring gearbeitet, aber bei sehr kleinen Motiven wie dem Sonnentau auch durchaus mal mehrere Zwischenringe kombiniert.
Fazit:
Das neue Primoplan 75 II zeichnet sich durch sehr gute Bildschärfe und deutlich verbessertes Gegenlichtverhalten aus. Die Mechanik und die Verarbeitung sind tadellos. Durch die große Offenblende bietet das manuell zu fokussierendes Objektiv eine hervorragende Möglichkeit zur Freistellung der Motive. Wer das Licht richtig zu lesen versteht und das Primoplan 75 f1.9 II beherrscht kann damit Fotos mit außergewöhnlichem, künstlerischen Aussehen schaffen. Das Primoplan gehört für mich aufgrund seiner vielseitigen Einsatzmöglichkeiten bei unterschiedlichsten Lichtverhältnissen und seinem wandelbaren wie auch unverwechselbarem Bokeh mit zu meiner Standardausrüstung im Makrobereich. Knapp 1000 Euro kostet dieses Objektiv. Wer die speziellen und ausgezeichneten Charakteristiken dieser Linse gezielt einsetzt, wird diese Investition nicht bereuen und sich über Bildergebnisse freuen können, die Wiedererkennungswert besitzen.
Technische Daten:
Gewicht: ca. 300 - 360 g
Länge (je nach Anschluss): 55 - 85 mm
Blendenlamellen: 15
Filtergewinde: 52 mm
Naheinstellgrenze: 75 cm
Blende: f1.9 - f16
Straßenpreis: ca. 1000,- Euro