Hoher Sonnblick 3106 m (Goldberggruppe / Hohe Tauern)

oder Mein erster Solo-Dreitausender

Von unserer Urlaubsunterkunft im Rauriser Tal sehe ich schon seit Tagen den Gipfel des Hohen Sonnblick in der Ferne als spitzen Zahn in den Himmel ragen. So richtig lässt mir das keine Ruhe und im Hinterkopf machen sich ungewollt ein paar Gedanken selbständig. Eigentlich bin ich ja nicht zum Bergsteigen hierhergekommen, sondern um einen gemütlichen Urlaub mit der Familie zu verbringen. Aber jeden Tag wenn ich abends vom Balkon in die Runde blicke, sticht mir das Ding einfach ins Auge…!

Beim Wirtssohn unserer Unterkunft kann ich ein paar Informationen einholen, da er ihn schon bestiegen hat: knapp 1600 Höhenmeter, kaum Gletscherberührung und mit 4,5 bis 5 Stunden Aufstieg ausgeschrieben, also keine ernsthaften Hindernisse. Ich bin halt allein in unbekanntem Gelände unterwegs und muss auf über 3000 m, was ich in der Kombination so noch nicht gemacht habe. Ein paar Tage überlege ich noch hin und her, aber irgendwann wird mir klar, dass ich aufbrechen muss, weil ich sonst den Kopf nicht frei bekomme. Auch Claudia hat ein Einsehen mit mir und gibt mir trotz gewisser Bedenken grünes Licht für die Tour.

Also stehe ich am nächsten Tag um 3 Uhr morgens auf, würge noch ein kleines belegtes Brot in mich rein (wirklich Hunger habe ich nicht nach nur 3 Stunden unruhigen Schlaf, aber Kohlenhydrate müssen sein) und fahre kurz vor 4 Uhr Richtung Ausgangspunkt in Kolm-Saigurn. Die Maut-Schranke ist glücklicherweise offen, so dass ich bis zum Parkplatz Lenzenanger komme. Um 4 Uhr 30 bin ich abmarschbereit. Ehrlich gesagt: ein bisschen mulmig ist mir schon, es ist noch stockdunkel und nur schemenhaft erkenne ich im Wald ein paar Kühe am Weg, die mich entgeistert anstarren. Glücklicherweise finde ich gleich den richtigen Weg, nach kurzer Zeit entdecke ich im Halbdunkel einen Wegweiser, der mir zeigt, dass ich richtig bin. Also mit Highspeed losmarschiert, um für alle Fälle einen Zeitpuffer zu schaffen. Anfangs ein komisches Gefühl, im Dunkeln in unbekanntem Gelände völlig allein unterwegs zu sein. Man muss doppelt aufpassen, ich habe nämlich kleine Lust, in ein paar Jahren als Knochenrest in irgendeiner Felsspalte gefunden zu werden… Das Wetter und die Ausrüstung sind suboptimal, eine hochalpine Tour habe ich nicht eingeplant und daher meine Steigeisen und Biwaksack nicht dabei. Im Zweifelsfall werde ich daher bei vereisten Stellen umdrehen und kein Risiko eingehen. Mit 1600 Höhenmeter wird dies eine meiner längsten Touren werden, ich bin gespannt, wie ich das wegstecke. Es dämmert bald, damit wird die Orientierung leichter und ich komme gut voran. Es geht am Barbarafall vorbei über Wiesen steil bergauf. Die ersten 600 HM schaffe ich in einer ¾ Stunde, nach 70 Minuten bin ich an der Neubauhütte (2176 m) angekommen. Hier bläst mir der kalte Wind vom Gletscher herab mit voller Wucht entgegen, so dass ich alles anziehe, was ich dabei habe. Über zwei steile Schneefelder quere ich nach oben, nach 2,5 Stunden erreiche ich die Rojacherhütte (2718m). Dort entschließe ich mich zu einer Pause (15 Minuten), ich presse mir mit Müh´ und Not eine kleine Packung Kekse rein. Eigentlich hätte ich bei dem Tempo schon früher Kohlenhydrate zuführen sollen, um den beginnenden Unterzucker zu bekämpfen. Jetzt muss ich mich echt zum Essen zwingen, sonst fehlen mir die Körner für den weiteren Aufstieg. Hinter der Hütte in nordwestlicher Richtung geht es eine gute Stunde weiter über den Grat, der meistens relativ breit ist und kaum Schwierigkeiten bietet.

Ich meide den Gletscher soweit möglich um keine unnötigen Risiken einzugehen. Um 8 Uhr 10 erreiche ich den Gipfel mit dem Zittelhaus, das ein Wetterobservatorium beherbergt. Ein Triumpfgefühl macht sich breit, mein erster Solo-Dreitausender, ich habe meine Reserven richtig eingeteilt und mich gut gehalten. Ich gebe zu: beizeiten bin ich ein “Höher-Schneller-Weiter-Typ“ und drum tun die 3 Std. 40 Minuten incl. Pause für den Aufstieg echt gut… (Seit der Geburt der Kinder wieder meine erste knackige Tour). Bis hierher war ich völlig allein, keine Menschenseele unterwegs, erst in der Hütte sehe ich ein paar Leute. Der Ausblick ist fabelhaft, 1600 Höhenmeter geht der Blick fast senkrecht runter ins Tal zum Ausgangspunkt, auf der anderen Seite liegt der Gletscher mit weiteren Gipfel zum Greifen nahe und in der Ferne grüßt der Großglockner.

Zur „Feier“ gönne ich mir einen Schluck eiskalten Mineraldrink aus der Feldflasche, der inzwischen auf gefühlte minus 5°C abgekühlt ist. Ein Besuch beim Zahnarzt fühlt sich manchmal ähnlich an... Wirklich Hunger habe ich nicht, da bin ich schon drüber, aber etwas Brotzeit für den langen Rückweg ist notwendig. Das Wetter erscheint mir nicht ganz sicher, daher mache ich mich nach ein paar Fotos wieder an den Abstieg. Je früher ich zurück bin, umso weniger muss sich Claudia Gedanken wegen meiner Tour machen. Mit Traubenzucker werfe ich regelmäßig Brennstoff nach und so komme ich nach 3 Stunden wieder beim Ausgangspunkt an.

Es geht doch nichts über eine Tour, bei der man sich mal wieder so richtig auspowern kann ;-)

Ach ja, abends am Balkon konnte ich endlich völlig ruhig meinen Blick auf diesem Felszahn ruhen lassen!

(Alle Photos: Scan vom Dia)

 

27.06.2002

Tour-Info:

Bekannter Gipfel mit Observatorium, früher Bergbau- und Goldgräbertätigkeit

Tourenkarte: http://www.tourenwelt.at/bergtour/24-hoher-sonnblick.html

Zittelhaus: http://www.zittelhaus.at/

Rojacherhütte: http://huetten.alpenverein.at//huettenHome/DE/Home/index.php?huetteNr=0189