Sass Rigais 3025 m (Geislergruppe, Dolomiten) von Villnöss, Klettersteig

18.06.2014

Majestätisch erhebt sich die Geislergruppe über dem Villnösstal. Nahezu senkrecht ragen diese gewaltigen Felszacken in den Himmel und mit dem Hauptgipfel habe ich noch „ein Hühnchen zu rupfen“. Vor fast 11 Jahren bin ich schon mal zum Sass Rigais aufgebrochen, musste aber kurz unter dem Gipfel wegen der immensen Schneemassen aufgeben. Ein früher Wintereinbruch Anfang Oktober 2003 hatte mir damals knie- bis hüfthohen Schnee beschert, so dass die Wegmarkierungen z. T. nicht mehr zu finden waren. Im stellenweise vereisten Steilgelände konnte ich damals zwar noch den 1. Nordwandturm (2920 m) besteigen, so dass die Tour mit 1550 Höhenmeter unter diesen harten Bedingungen doch noch ein erfolgreiches Ende gefunden hat, aber vergessen habe ich den Sass Rigais nicht! Seit 11 Jahren spukt mir dieser Berg im Hinterkopf herum und jetzt hat es mich endlich wieder mal Richtung Dolomiten verschlagen, diese Front kann also begradigt werden…

Optimal sind die Bedingungen allerdings diesmal wieder nicht: Obwohl bereits Mitte Juni vorbei ist, liegt noch immer reichlich Schnee in der Mittagsscharte, einem geröllreichen Felseinschnitt in der Mitte der Geislergruppe, der als Aufstiegsweg dient. Von der Tourist-Info in Villnöss habe ich erfahren, dass heuer wegen der Schneelage noch niemand von der Villnösser Seite den Sass Rigais bestiegen hat, lediglich aus dem Grödner Tal über die Regensburger Hütte sind ein paar Gruppen aufgestiegen. Obwohl die Sonne jeden Tag den Schnee sichtbar dezimiert, kann ich nicht noch länger warten, das Urlaubsende naht und die Wetteraussichten sind nur noch für den nächsten Tag akzeptabel. Vorgestern war ich mit meiner Familie auf den Cirspitzen 2592 m und 2520 m (700 Höhenmeter), gestern am Plattkofel 2958 m (ca. 1000 HM) und nun also noch den Sass Rigais, mit 1750 HM die Krönung sozusagen. Langsam laufen die Fußsohlen heiß, drei Touren in drei Tagen… Zumindest versuchen will ich es... Abends nach der Plattkofeltour noch den Rucksack und die Fotoausrüstung auf ein Minimum reduziert, Priorität liegt in diesem Fall eindeutig beim Bergsteigen und nicht beim Photographieren.

Um 2 Uhr 45 aufgestanden, kurzes Frühstück und Abfahrt zum Ausgangspunkt Waldschenke (1300 m, 2 € Parkgebühr ermäßigt). Eigentlich ist dies der Ausgangspunkt mit dem längsten Zustiegsweg, von der Grödner Seite oder der Zanser Alm könnte man sich 350 Höhenmeter sparen, aber vor 11 Jahren ging ich von hier weg, also diesmal auch (ja, ich bin da etwas eigen ;-)). Wie immer, wenn ich alleine losziehe, bevorzuge ich einen extrem frühen Start, damit ich die kühle Morgenluft ausnutzen kann, außerdem besteht bei der derzeitigen Hitzewelle die permanente Gefahr, dass nachmittags ein Gewitter losbricht, am Klettersteig nicht so toll… Abmarsch um 3 Uhr 50. Es ist noch stockfinster und saukalt: Im Schein meiner Stirnlampe vernebeln mir meine AtemwöIkchen die Sicht, aber dafür komme ich trotz Dunkelheit schnell voran: In 1 Stunde habe ich die ersten 700 Höhenmeter geschafft und bin am Latschengürtel unter der Mittagsscharte angekommen. In 80 Minuten bin ich an der Schneegrenze der Mittagsscharte angelangt, die Hälfte der steilen Schuttreißen habe ich schon hinter mir und damit die ersten 1000 HM erledigt. Soweit möglich bin ich über die Schuttreißen außerhalb des Schneefeldes gegangen, aber jetzt muss ich auf das Schneefeld wechseln. Und für die nächsten 250 HM bis zur Mittagsscharte brauche ich tatsächlich über 2,5 Stunden!!! Der Schnee ist knüppelhart gefroren und in dem steilen Gelände ist ohne Steigeisen kein Halt zu finden. Nachdem ich in den Tagen zuvor schon auf dem Peitlerkofel (2875 m) war und die Schneerinne dort gut zu begehen war, hätte ich auch hier bessere Bedingungen erwartet. Und ich Idiot bin ohne Steigeisen unterwegs, diese ruhen sanft zuhause, bei solchen Bedingungen wollte ich eigentlich gar nicht unterwegs sein. Prinzipiell ist Umkehren für mich immer eine Option, wenn es die Umstände erfordern, trotzdem probiere ich, mit den Bergschuhen in dem harten Firn Stufen zu schlagen. Ist die zentimeterdicke Firndecke durchbrochen, finde ich in dem darunterliegenden weicheren Schnee ausreichend Halt. Mit den Stöcken als zusätzliche Ankerpunkte traue ich mir den Aufstieg auf diese Art auch in diesem Steilgelände zu. Aber dieses mühsame Stufenschlagen im beinharten Firn erfordert vollen Körpereinsatz, ist extrem kräfteraubend und zudem ist nur ein langsames Vorwärtskommen möglich. Innerlich fluche ich vor mich hin, mit Steigeisen wäre das Ganze ein Spaziergang und ich hätte die Mittagsscharte locker in unter zwei Stunden erreicht. Mehrmals überlege ich, ob ich umkehren soll, aber irgendwann stecke ich mitten im Hang und der Weg nach oben scheint mir kürzer als zurück. Der steile Firnhang erfordert absolute Konzentration, bei 30° bis 40° Hangneigung hätte ein Abrutschen fatale Folgen und ich würde mich mehrere 100 Höhenmeter tiefer im blockigen Geröllfeld wiederfinden (bzw. würde gefunden werden). Ich höre ihn, bevor ich ihn sehe! Von oben herab schwirrt knapp 20 Meter an mir vorbei ein faustgroßer Stein, also schnell den Helm aufsetzen und weiter, raus aus der Steinschlagzone. Erst um 7 Uhr 50 bin ich oben in der Scharte, nach 4 Stunden Aufstieg!!! Wahnsinn, um die Zeit wollte ich eigentlich schon am Gipfel sein… Aber von der Villnösser Seite bin ich heuer der Erste, kein Wunder, der Hang ist z. T. so steil, dass auch im Geröllfeld kaum Halt zu finden war und das lose Material in großen Mengen talabwärts gerutscht ist. Der nächste, der meinen Aufstiegsweg im Schneefeld nutzt, kann mir gerne den Wegezoll auf mein Konto überweisen…

Die 4 Stunden Vollgas haben reichlich Körner gekostet, kurzzeitig überlege ich wieder umzukehren und den Berg einfach Berg sein zu lassen, aber andererseits, jetzt wo das größte Hindernis hinter mir liegt… Der Weiterweg ist jedoch auch ziemlich übel, unendlich viel loses Geröll vom Winter liegt auf den steilen Steigen, man muss extrem aufpassen, nicht abzurutschen. (Irgendwie habe ich das anders in Erinnerung, damals war das eher Spaß wie Herausforderung). Bis zur langen Querung ist relativ viel ungesicherter Weg, kaum Klettersteig. In dem steilen Gelände wirkt der lose Schotter fast wie Schmierseife, kaum dass mein Gewicht getragen wird und ich nicht abrutsche. Irgendwie aber ein unangenehmes Gefühl. In ein paar Einschnitten sind noch hartgefrorene Altschneefelder zu queren, die im ausgesetzten Gelände ebenfalls Konzentration erfordern. Der Klettersteig im Schlussdrittel auf den Sass Rigais ist dann endlich so, wie ich es mir vorgestellt habe, nicht unbedingt einfach, aber gut machbar. Dazwischen immer wieder ungesicherte Stellen im ausgesetzten Gelände, luftige Querungen etc.. Um 9 Uhr 50, nach 6 Std. Aufstieg bin ich endlich am Gipfel!!

Ich kann´s fast nicht glauben, ich habe vom Tal und von anderen Bergen aus schon so viele Photos von diesem spektakulären Felsmassiv gemacht und nun stehe ich tatsächlich auf dessen Hauptgipfel! YES!!! Tief unten im Tal sehe ich meinen Ausgangspunkt, ganz schön kräftezehrend, weniger die 1750 HM als die elende Stufentreterei. Weit geht der Blick ins Umland und die Dolomiten machen Ihren Namen alle Ehre, eine spektakuläre Ansammlung großartiger Gipfel. Viel Zeit bleibt mir aber nicht zum Schauen, die Wetterlage ist schwer einzuschätzen, eben war noch Sonne, dann ziehen Wolken um mich herum und ein paar Hagelkörner fallen. Auf die Schnelle mache ich ein paar Fotos, futtere zwei Müsliriegel und nach 20 Minuten bin ich schon wieder auf dem Rückweg. Das Wetter ist mir einfach zu unsicher. Der Abstieg erfordert nochmal volle Konzentration, permanent besteht auch die Gefahr, Steinschlag loszutreten. Zwei Bergführerseilschaften kommen mir entgegen (vom Ausgangspunkt Regensburger Hütte; einen der Bergführer habe ich vor zwei Tagen auf der Gr. Cirspitze schon getroffen…) Inzwischen sind auch die Schneefelder nicht mehr so bretthart gefroren, so finde ich besseren Halt. An der Mittagsscharte mache ich nochmal eine kurze Foto-, Trink- und Esspause, dann taste ich mich langsam die steile Schneerinne hinab. Trotz vorhandener Spur und nicht mehr ganz so hartem Schnee ist es immer noch sehr anstrengend. Bei dem steilen Gelände ist einfach absolute Konzentration notwendig. Endlich erreiche ich sicheres Gelände bei den Serpentinen in der Schuttreißen und „im Schweinsgalopp“ geht´s zurück zum Auto. 14 Uhr 30 am Auto.

10 Std. 40 Min.-Tour. Hammer! Nach 11 Jahren ist die Sache jetzt bereinigt. Die Stelle, an der ich letztes Mal im Tiefschnee nicht weiterkam, habe ich heute wiedergefunden. Obwohl ich konditionsmäßig momentan gut drauf bin, brauche ich so ´ne harte Tour mit so üblen ausgesetzten Schottersteigen nicht wieder. Sind erstmal genügend Leute die Tour gegangen, sind die Steige vom Geröll beseitigt und sicher wieder besser zu begehen.

 

 

Auszug aus meinem Tourenbuch:

1. Nordwandturm 2920m, Geislergruppe

11.10.2003

Der frühe Wintereinbruch hat über Nacht die Landschaft in eine Märchenlandschaft verwandelt. Die Geislergruppe mit Neuschnee sieht wunderschön aus, hat aber einen entscheidenden Nachteil: Eine Besteigung des Sass Rigais wird jetzt deutlich schwieriger.

Abmarsch um 9°° Uhr bei der Ranuikirche (1300 m). Nach ca. 1 Stunde an der Baumgrenze und zur Mittagsscharte aufgestiegen; erst um 12°° Uhr erreicht, elende Schneetreterei im knie- bis hüfthohen Schnee. Der anschließende Klettersteig war schön zu gehen. Um 13 Uhr 30 auf dem Weg zum Sass Rigais keine weitere Wegmarkierung mehr gefunden, z.T. schon üble Kletterei im vereisten Steilgelände. Das Gipfelkreuz zum Greifen nahe, habe ich mich dann entschlossen, nicht weiter zu machen, 14°° war erreicht und ich habe Cl. versprochen, hier spätestens umzukehren. Den 1. Nordwandturm neben der Mittagsscharte bestiegen, photographiert und nach einem Müsliriegel den Rückweg angetreten.

Auch auf der Südseite unerwartet viel Schnee, ca. 30° bis 40° Schneehänge und allein unterwegs -> volle Konzentration nötig! 15°° Mittagsscharte, 16 Uhr 10 am Auto zurück (1350 HM Abstieg in 70 Minuten…). Schuhe vollkommen durchweicht, ca. 1550 HM mit nur 2 Müsliriegel und 1 Rolle Traubenzucker ohne Probleme. Schade, etwas mehr Zeit und ich hätte den Weg vielleicht noch gefunden, aber noch ist nicht aller Tage Abend… Trotzdem klasse Tour, gute Aussicht!