Weißschrofenspitze 2752 m, Jahreserstbegehung 2004

Die Tour auf die Weißschrofenspitze war eine von mehreren Möglichkeiten, die ich mir vor unserem diesjährigen Urlaub in St. Anton (auf ca. 1350 m) näher angesehen habe. Vom Ort aus ist sie als fast senkrechter Felspfeiler auszumachen, respekteinflößend bei der derzeitigen Schneelage. Der Klettersteig bietet Schwierigkeiten bis maximal C/D, also habe ich auch mein Klettersteigset und den Helm dabei. Die Weißschrofenspitze liegt so verlockend vor meiner Nase, dass ich ihr nicht widerstehen kann und bei dem vorhergesagten Schönwetterfenster die 1400 Höhenmeter schließlich in Angriff nehme.

Wie immer bei meinen Alleingängen stehe ich früh auf, 2Uhr40 ist es diesmal (wenn das so weitergeht, brauche ich bald gar nicht mehr ins Bett gehen…). Nach einem kleinen Frühstück habe ich um 3 Uhr 15 meinen Ruchsack geschultert und suche mir mit Stirnlampe den Weg. Der Mond ist noch nicht aufgegangen, es ist zappenduster und die Orientierung im Dunkeln ist gar nicht so einfach. Aber ich rate im Ort gleich auf Anhieb den richtigen Weg Richtung Weißschrofenspitze. Es ist jedoch nicht einfach, sich zurechtzufinden, denn es ist keinerlei Ausschilderung vorhanden. (Erst beim Rückweg klärt sich auf warum: die Schilder werden nach der Winterpause an diesem Tag erst wieder angebracht… ich war wohl ein bisschen früh dran…). In 55 Minuten bin ich bis zum Gampen (1846 m) gekommen, nach 1 Std. 50 Min. stehe ich auf dem Kapall (2326 m). Durch Krokuswiesen und Schafherden bin ich z. T. weglos diesen Grashügel hinauf (wo sind nur die Wegweiser, verdammt???), am Schluss mit schönen Ausblick auf das Tal, in dem noch die Lichter der Stadt brennen.

Es dämmert bereits und ich stehe vor dem interessanten Abschnitt der Besteigung. Ich lege schon am Kapallsattel das Klettersteigset und den Helm an, so bequem kann ich für den Rest der Tour nicht mehr stehen. Über ein steiles Schutt- bzw. Schneefeld geht es zum Einstieg des Arlberger Klettersteiges. Ich bin ganz ehrlich: der Klettersteig war echt knackig!! Anfänglich geht es noch ganz locker zu, der Fels ist griffig, gute Sicherung. Aber dann, immer öfter treffe ich auf Passagen, in denen das Sicherungsseil tief unter dem Schnee begraben liegt. Worst Case beim Klettersteig… Manchmal nur wenige Meter, aber wenn es derart ausgesetzt ist, überlegt man sich jeden Schritt zweimal. Wie sieht der Fels wohl unter dem Schneefeld aus, rutscht das Ganze bei Belastung ab?? Mit den Fußspitzen „hacke“ ich mir Trittstufen in den Schnee, außerdem fixiere ich mich mit den Händen im Schnee, um einen zusätzlich Halt zu haben und das Gewicht zu verteilen. Trotz Klettersteig-Handschuhen werden mir die Finger in kurzer Zeit ziemlich klamm. Die Schwierigkeiten wechseln von einfachen A/B-Abschnitten bis zu C oder C/D. Ein Blick nach unten und nach oben in dem fast senkrechten Fels offenbart, dass dies bei diesen Bedingungen eine meiner härtesten Bergtouren wird. Ich bin mehrfach kurz vor dem Umkehren. Immer wenn ich ein Schneefeld hinter mir habe und „nur“ im Fels klettern muss, kommt wirklich Spaß auf. Wie der Weg weitergeht, ist in diesem steilen Gelände nicht einsehbar. Durch die hohe Schneelage ist immer wieder das Sicherungsseil nicht zugänglich, was unangenehme Klettereien in z. T. feinsplittrigem Fels oder Schrofengelände notwendig macht. Dabei ist das Ganze noch nass durch tauenden Schnee… Und der größte Nervenkitzel: ein extrem steiles Schneefeld aufwärts, ein paar Meter weiter winken die Sicherungen wieder… Hält das Schneefeld wirklich? Keinerlei Trittspuren sind zu sehen. So tief wie möglich verankere ich mich im Schnee mit Händen und Füßen, auch wenn es saukalt an den Fingern wird. Buchstäblich bis zum letzten Meter weiß ich nicht, ob ich den Gipfel erreichen werde. Die ausgesetzten Schneefelder sind für mich so grenzgängig, dass ich mehrfach am Umkehren bin. Um 6 Uhr 50 kann ich endlich am Gipfelkreuz anschlagen. WOW, eine riesige, fotogene Wächte unmittelbar daneben und ein bombastischer Ausblick bei Traumwetter. Lohn der Mühen!

Beim Eintrag ins Gipfelbuch bemerke ich, dass in diesem Jahr noch keiner vor mir hier oben war, also habe ich die Jahres-Erstbegehung geschafft! Kein Wunder bei diesen Verhältnissen… Eine halbe Stunde mache ich Fotopause, genieße die Rundumsicht, dann gehe ich zurück. Zulange möchte ich mich nicht aufhalten, denn ich fürchte, dass die Sonne den Schnee aufweicht und somit instabil macht. Das Abklettern an den seilfreien Stellen mit dem bröseligem Untergrund ist wieder sehr unangenehm, auch die steilen Schneefelder fordern nochmal volle Konzentration. Ein Ausrutscher wäre fatal! Erst um 9°° Uhr am Kapall zurück, 9 Uhr 30 am Gampen, um 10°° Uhr im Laufschritt zurück am Hotel. Gerade noch rechtzeitig, um meine Eltern zu verabschieden, die heute zurückfahren.

Die ganze Tour nur mit einer Rolle Traubenzucker durchgezogen, hat prima gehalten, keine „Brennstofflücke“ aufgetreten.

Sightings während des Tages: 2 Murmeltiere, 1 Schneehuhn, Enzianwiesen und Krokusse, Alpen-Christrosen und Schlüsselblumen

 

09.06.2004