Schneeschuhtour Schönalmjoch (1986 m)

Ausgangspunkt ist der Parkplatz in Hinterriss. Der Wettergott ist mit mir und die Sonne lässt die weißen Karwendelgipfel im schönsten Licht erstrahlen. Da kann einem schon das Herz aufgehen, ein echter Genuss beim Schauen. Es ist Freitag, daher bin ich mir relativ sicher, dass ich am Gipfel nicht mit dem Wochenendansturm der Tourengeher zu rechnen habe und die Natur weitgehend unberührt vorfinden werde. Diese Tour habe ich schon lange im Kopf und endlich passen die Bedingungen.

Meinen Tragegestellrucksack habe ich schon in den entlegenen Nationalparks Norwegens getestet, damals war ich mit gut 30 kg unterwegs, daher weiß ich, dass der Rucksack auch über längere Zeit relativ angenehm zu tragen ist (soweit das bei diesem Gewicht überhaupt möglich ist). Irgendwie drückt mich der Rücksack trotzdem ganz schön in den Boden, aber nur in ihm kann ich das voluminöse Wintergepäck und die Fotoausrüstung überhaupt unterbringen. Alleine schon das Hochwuchten auf den Rücken ist ein Spaß… Wie lange liegt das mit Norwegen zurück, war ich da wirklich soviel jünger?? Oder ist der Schnee einfach zu weich oder vielleicht hätte ich doch die zweite Kamera und das zweite Stativ zu Hause lassen sollen?

Zuerst habe ich noch den leichten Teil vor mir: die Forststraße lässt sich gut ohne Schneeschuhe begehen, der Schnee liegt nicht allzu hoch. Tatsächlich war ich hier schon mal vor acht Jahren mit Claudia unterwegs bei einer Schneeschuhtour. Damals hat mich die Landschaft hier so in den Bann gezogen, dass ich diesen Berg ein zweites Mal im Winter begehen will. Aber diesmal hat es weniger Schnee und es ist auch nicht so kalt wie damals, als uns das Wasser in den Feldflaschen gefroren ist. Lernfähig wie ich bin, habe ich seitdem immer eine Thermosflasche im Winter dabei. Das Vergnügen ist nur begrenzt, wenn beim Trinken unweigerlich der Gedanke an den Zahnarzt wachgerufen wird... Diesmal bin ich jedenfalls gerüstet und genieße meinen heißen Magnesiumdrink. In der Sonne wird es doch ziemlich warm und das Trinken ist eine echte Wohltat. Jeder Stopp (zum Trinken oder Photographieren) ist allerdings mit einem unangenehmen Absetzen des Ruchsacks verbunden und mit jedem Mal wird das Aufnehmen und Hochwuchten des Rucksackes anstrengender, so dass jeder Photostopp gut überlegt sein will.

Als die Route nicht mehr über den Forstweg weitergeht und ich auf den Pfad im Wald wechsle, lege ich die Schneeschuhe an. Die Schneelage ist inzwischen hoch genug und der Rücksack wird dadurch ein Stück leichter. Dem mörderischen Gewicht des Rucksackes muss ich langsam Tribut zollen. Die Steigung des Hanges nimmt zu und der Schnee ist Bruchharsch der übelsten Sorte. Trotz Schneeschuhen breche ich fast pausenlos knietief ein und rutsche in dem darunter liegenden grundlos tiefen Pulverschnee ab wie auf Schmierseife. Dabei immer und immer wieder das Gewicht des Rucksacks auszupendeln und nicht unkontrolliert auf eine Seite zu fallen, ist absolut anstrengend. Es ist völlig unberechenbar, wann ich mit den Schneeschuhen einbreche oder wann einer oder beide Skistöcke plötzlich einen halben Meter im Schnee wegsacken. Jeder Schritt in dem steilen Gelände wird zur Belastungsprobe. Ich muss mich wirklich zusammenreißen, um meine Konzentration aufrecht zu erhalten. Ein „Haxenbrecher“ in dem Steilgelände, die Hänge haben streckenweise bis zu 40°, ist das letzte, was ich brauche. Bis morgen kommt hier sicher niemand mehr vorbei, die Nacht wird kalt und Handyverbindung gibt es nicht mehr… Ich bin echt tilt, als ich an den Fuß des letzten Gipfelhanges komme. Ich habe zwar regelmäßig Traubenzucker zu mir genommen, um keinen Unterzucker zu bekommen, aber der schwere Rucksack und die ruckartige einseitige Belastung bei jedem Einbrechen hat mich physisch langsam aufgerieben. Jeder Schritt nach oben wird begleitet vom unweigerlichen Zurückrutschen im Pulverschnee, gefühlsmäßig laufe ich den Berg mindestens zweimal rauf…

Die letzten 200 Höhenmeter sind von der Schneebeschaffenheit deutlich besser, ich breche nicht mehr so tief ein und durch die geringere Hangneigung rutsche ich auch nicht mehr ab. Trotzdem bin ich körperlich ziemlich am Limit, als ich endlich den Gipfel erreiche. Wahnsinn, für 1060 Höhenmeter habe ich ganze 5 Stunden gebraucht!! Und dabei haben die letzten 200 Höhenmeter auf den zum Greifen nahen Gipfel noch mal alle meine (restlich) vorhandene Disziplin benötigt. Selten, dass meine Beine so schwer waren! (Unglaublich, was ein gut gefüllter Rucksack und ein bisschen Schnee mit einem so anstellen können).

Aber dafür ist die Aussicht fantastisch! Die Rundumsicht auf die schneebedeckten Berggipfel löst ein echtes Hochgefühl nach der Plackerei in mir aus. Die Wetterstimmung ist herrlich, die Sonne scheint und ein paar schöne Wölkchen zieren den Himmel. Der Gipfel des Schönalmjochs zeigt keine Spuren von früheren Besteigungen und eine schöne Schneewächte drängt sich für ein Photo fast auf. Ohne Wind lässt es sich gut aushalten und drum mache eine kleine Photosession. In meinem körperlichen Zustand ist das aber fast schon Schwerstarbeit, ich bin echt ausgepowert. Allzu viel Zeit bleibt mir sowieso nicht mehr. Ich muss vor allem Schnee zum Trinken schmelzen. Der Liter aus der Thermosflasche ist längst verbraucht und ich habe wirklich Durst. Eine gute Gelegenheit, meinen neuen Gaskocher einzuweihen. Ich mache mir einen ausreichend großen Vorrat zum Trinken, nebenbei bin ich am Photographieren.

Ich gönne mir eine Brotzeit. Gleich nach der Ankunft am Gipfel war ich eh schon drüber, da hätte ich nichts runter gebracht, aber jetzt bekomme ich Hunger. Ich bunkere rein, was geht, denn ich muss wieder runter und dazu brauche ich alle Kräfte.

Ohne größere Probleme komme ich beim Abstieg die steilen Hänge hinab, trotzdem ist natürlich volle Konzentration notwendig. Nur einmal falsch umknicken mit den Gewicht am Rücken und schon ist der Spaß vorbei. Mit fünf Minuten Photopause erreiche ich in 2 Stunden das Auto. Der Rucksack fehlt mir nicht wirklich, als ich ihn endlich los bin! Wegen dem fehlenden Netz unterwegs schicke ich Claudia nun eine kurze Nachricht, dass ich gut zurück bin und per MMS ein Gipfelphoto, das mich heute noch völlig begeistert und an dieses schöne Erlebnis erinnert.

Wenn ich näher bei den Alpen wohnen würde, wäre ich sicher viel öfter hier unterwegs. Diese Tour hat eindeutig Suchtpotenzial …

 

 

März 2011