Grenzgängig - Alpin-Photographie im Winter - Teil I

Wintertouren gehören zur Königsdiziplin beim Bergsteigen. Genauso ist es beim Photographieren: Die extremen Wetterbedingungen stellen eine zusätzliche Herausforderung für Mensch und Material dar. Unter diesen Konditionen optimale Ergebnisse zu erzielen, ist ungleich härter als im Sommer. Und ALPIN-Photographie im Winter von Landschaft und vor allem von Tieren ist wohl die ultimative Herausforderung für den Photographen: Tiefer Schnee, Minusgrade, schweres Gepäck mit Winterausrüstung, zusätzlich Photoausrüstung, unzählige Höhenmeter den Berg hinauf, einsame Touren, schnelle Wetterwechsel, seltene und scheue Tierarten… Gelegenheiten, um Abenteuer zu erleben, zu den Basics zurückzukehren, um Grenzen zu testen und zu verschieben. Und gerade diese Herausforderung reizt mich.

 

Aber was war eigentlich der Auslöser für mein neues Projekt? Im Herbst war ich mit Claudia wieder  im Karwendel unterwegs und die Landschaft dort hat uns erneut restlos begeistert. Auf ein paar Touren sind wir in den höheren Regionen öfter auf Gemsen gestoßen. Nachdem ich „zufällig“ mein Tele dabei hatte, konnte ich auch ein paar schöne Photos dieser Kletterkünstler machen.

 

LEIDER hat sich dabei ein Gedankensplitter in meinem Kopf verhakt: Wie würden die Gamsphotos wohl in winterlicher Umgebung aussehen? Vor meinem geistigen Auge formten sich die herrlichsten Bilder: „Schroffe Berggipfel, spektakuläres Licht, Schnee soweit das Auge reicht und mitten drin eine Gams, die sich extra für mich in Positur wirft.“ Hmmm, seeehr verlockend! Nur stehen zwischen meinem Wunschdenken und tatsächlicher Umsetzung ein paar ernst zunehmende Hindernisse: Etwa 1000 Höhenmeter Aufstieg im tiefen Schnee, rund 30 kg Gepäck, ein 40° steiler Hang, Lawinengefahr und schließlich das Risiko, oben anzukommen und weit und breit ist keine Gams zu sehen… Also RESET !!, den Gedanken ausblenden und neue Photoziele suchen.

Blöderweise funktioniert das bei mir nicht so gut. Irgendwann taucht der Gedanke aus der Versenkung wieder auf… und arbeitet still und leise vor sich hin. Aus Erfahrung weiß ich, dass ich erst dann Ruhe finden werde, wenn ich mich an die Umsetzung des Projektes mache. Also wehre ich mich nicht länger dagegen und beginne mit der Planung und Vorbereitung. In den Tiefen der Karwendeltäler ist es im Winter sehr einsam (tatsächlich begegnet mir auf der ganzen Tour kein einziger Mensch) und man hat keinen Netzempfang, ein Notruf ist also nicht möglich. Sollte ich einen Unfall haben, muss ich in winterlichen Verhältnissen solange aushalten, bis der festgelegte Rückreisetermin überschritten ist und Claudia von zu Hause aus Hilfe anfordert. Dafür brauche ich volle Winterausrüstung, warme Kleidung, Biwakzelt für den Notfall, Stirnlampe, Thermoskanne und Kocher. Dazu noch Steigeisen (für extreme Schneebedingungen am Steilhang), Gamaschen, ausreichend Verpflegung und diversen Kleinkram. Allein diese Ausrüstung reicht schon, um meinen Rucksack gut zu füllen. Jetzt fehlt „nur“ noch die Photoausrüstung: Stativ, Kamera, 16-35mm, 70-200mm, zwei Konverter und die 400er-Festbrennweite, Filter, mehrere Akkus etc. Als ich die Festbrennweite im Rucksack verpacken will, stoße ich das erste Mal an die Grenzen. Trotz Tragegestellrucksack bräuchte ich mehr Transportvolumen. Aber auf mein großes Tele möchte ich nicht verzichten, zu sehr schätze ich die Qualitäten dieser Linse. Also Augen zu und durch. Als ich mit dem Packen fertig bin, stehe ich da wie ein Sherpa: Ein überdimensionaler Rucksack mit zwei Zusatzpacktaschen und 29 kg Gewicht ziert meinen Rücken. Ich komme damit kaum noch durch den Türrahmen nach draußen... Nachdem ich nochmal Karte und Aufstiegsweg studiert sowie Wetter und Lawinenlagebericht überprüft habe, mache ich mich auf den Weg ins Karwendel.

Obwohl ich die Route schon im Herbst gegangen bin, habe ich streckenweise Probleme den richtigen Weg zu finden. Im tiefen Schnee im Wald sind die Wegmarkierungen nicht auszumachen, immer wieder sacke ich weg, sobald ich über Steine und andere Unebenheiten rutsche. Dabei den schweren Rucksack auszupendeln und einen Sturz zu verhindern, erfordert höchste Konzentration. Sobald die Steigung des Berges auf 35° bis 40° zunimmt, kommt die eigentliche Herausforderung dieser Tour. Im knietiefen Schnee muss ich Schritt für Schritt Stufen treten. Bei voller Gewichtsbelastung gibt der Schnee dann weiter nach und ich rutsche immer und immer wieder ruckartig an dem steilen Hang einige Zentimeter tiefer. Mit dem schweren Rucksack diesen Ruck einbeinig abzufangen, ist extrem anstrengend. Als ich nach über 3 ½ Stunden kräfteraubender Schneetreterei am Zielort ankomme, habe ich die Grenze meiner körperlichen Leistungsfähigkeit erreicht. Ich bin froh um jede Trainingseinheit all die Jahre, sonst hätte ich den Aufstieg wohl nicht geschafft.

 

Absolute Stille herrscht hier oben. Ich bin von schneebedeckten Bergen umgeben und die Aussicht ist fantastisch. Die Photo-Bedingungen sind besser als erhofft. Leichte Nebelfetzen treiben unten durch die Täler, der bedeckte Himmel lichtet sich und dekorative Wolken ziehen um die Gipfel. Es fasziniert mich immer wieder auf´s Neue, wie schnell sich die Lichtqualität ändert, wenn die Sonne den Horizont quert.

Nun wird es fast stressig, Landschaftsaufnahmen vor und nach Sonnenaufgang möchte ich unbedingt machen, aber auch die erhofften Gemsen sind da und klettern in der Nähe durch die Felsen. Meine Anwesenheit scheint sie nicht weiter zu stören. Ich bewege mich langsam und lasse genügend Abstand zu den Tieren. Hier kann ich die Vorteile der langen Brennweite ausspielen. In aller Ruhe ziehen die Gemsen durch den Schnee, fressen hier und da ein paar Grasbüschel an den aperen Stellen und wärmen sich schließlich an einem exponierten Felsen in der aufgehenden Sonne. In der zerklüfteten Felsregion muss man sehr genau beobachten, immer wieder tauchen einzelne Gemsen hinter Felsen auf, oft auch ganz in meiner Nähe. Diese wendigen Kletterer in winterlicher Bergkulisse zu beobachten ist genau das, was ich mir von dieser Tour erhofft hatte. Als dann noch ein paar Schneehühner die Bühne betreten, werden meine Erwartungen sogar noch übertroffen. Ihre Spuren habe ich schon im Schnee entdeckt, aber jetzt diesen scheuen Tieren hier oben tatsächlich zu begegnen, zählt für mich zu den Highlights dieser Tour. Mit ihrem weißen Gefieder sind sie perfekt getarnt, sie verschmelzen nahezu mit dem Schnee in ihrer Umgebung. Nur wenn sie sich bewegen, nimmt man sie wahr.

Auch das Wetter spielt mit. Zwischenzeitliche Kletterpartien durch die Felsen im steilen Schneehang ergeben vom Gipfelgrat aus schöne Perspektiven auf die vom Tal aufsteigenden Nebelschwaden vor den gewaltigen Schneehängen der umliegenden Berge. „Winterwonderworld“, eine Kulisse wie aus dem Bilderbuch. Ich bin mehr als zufrieden mit meinen Erlebnissen und den Bildergebnissen. Ich packe meine Sachen zusammen und mache mich an den Abstieg. Beim Blick hinab über den steilen Hang wird mir klar, dass ich auch beim Abstieg keine Fehler machen darf und jeden Schritt wohlüberlegt und kontrolliert setzen muss, um mit diesem mörderischen Zusatzgewicht heil unten anzukommen. Von Westen zieht eine Schlechtwetterfront heran und leichter Schneefall setzt ein. Die untergehende Sonne erleuchtet aber am Horizont einen rotgoldenen Streifen und schickt mir einen letzten Gruß. Das Gepäck ist buchstäblich drückend, trotzdem ich erreiche ohne Zwischenfall und wohlbehalten das Tal.

Die Tour hat mir wertvolle Erkenntnisse und viele neue Ideen und Anregungen gebracht: Oberstes Gebot bei solchen Solotouren ist eine absolut professionelle Outdoor-Ausrüstung, um Gewicht zu sparen und für extreme klimatische Bedingungen gerüstet zu sein. Außerdem muss ein anderer Schwerlastruck mit noch besserem/komfortableren Tragesystem für Touren dieser Art gefunden werden. Trotzdem ist bei diesem Gewicht eine gewisse Leidensfähigkeit wohl unumgänglich ;)

 

Und Gedanken zur Fotoausrüstung muss ich mir auch machen. Bei Wintertouren ist die voluminöse Festbrennweite grenzgängig schwer und im steilen Gelände sehr unhandlich.

 

Es gibt also Veränderungsbedarf.

 

Ich bin heiß auf eine Fortsetzung des Projektes!! Wie es weitergeht, erfahrt ihr in Teil 2!

 

… die nächste Tour steht schon fest!

 

Grenzgängig - Alpin-Photographie im Winter - Teil II